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Poetischer Realismus im Schauspiel

Als Schauspieler im "Theater des poetischen Realismus" kreierst Du die Umgebung, in der deine Figur lebt, mit den Sinnen. Du bist der Mittler zwischen Text und Publikum, wirst  Kraft deiner Wahrnehmung zum Formgeber und erreichst so den Zuschauer in seinem emotionalen Bereich. Es ist mehr ein Empfangen und dadurch bewegt werden, als ein Tun - und die Sprache ist Teil dieses Prozesses.
Szenefoto aus "Fluch der verhungernden Klasse" von Sam Shepard | Regie: Peter H. Jährling
Im "wirklichen Leben" wird unser Erleben einer Situation in der Regel unbewußt in Handlung sichtbar, auch Gedanken und Gefühle. Und Handlungen sind immer zunächst durch unsere wahrnehmenden Sinne initiiert. Das können durchaus kleine, Handlungen sein; z.B. kann sich "Nachdenken über eine bestimmte Sache" darin zeigen, wie sich eine Kaffetasse in meinen Händen bewegt. Unsere Sinne und unser Körper sind immer mit im Spiel. Worte kommen dazu und werden Teil dieses Prozesses. Dennoch sagen die Worte selbst nicht das, was ich gerade unbewußt erlebe; denn unsere Worte kommunizieren Informationen. Unser sinnlich erlebender Körper kommuniziert Emotionen. Erst in der Gleichzeitigkeit von Erleben und Sprechen, werden Worte, Sätze sinnlich geformt und so ensteht gewissermaßen "die Melodie des Erlebnisprozesses". 
Den Körper betreffend folgen wir, genauer betrachtet, nicht einem Impuls oder reagieren auf etwas; sondern auf der ganz simplen Ebene des Seins, 
führen wir etwas fort, was bereits außerhalb von uns begonnen hat.  "Das Leben" beginnt nicht bei uns, sondern es existiert bereits und wir werden Teil davon. Einfacher gesagt: aus einer Situation kommend, treten wir in eine neue, bereits bestehende Situation ein, empfangen diese mit unseren Sinnen, 
werden bewegt und stoßen damit etwas Neues an.

So arbeiten wir auch im "Theater des Poetischen Realismus".

In Bezug auf Gefühle bedeutet das für den Schauspieler, nicht einfach ein Gefühl entsprechend einer Situation zu "erzeugen" oder zu haben, sondern wie eine Membran das emotionale Erleben einer Situation durch sich hindurchgehen und körperlich sichtbar werden zu lassen, so dass der Zuschauer es fühlen kann. Es ist ein dynamischer Prozess, nicht eine Behauptung. Dieser Prozess lässt sich in der Regel als Metapher beschreiben. Am Beispiel unserer Tasse könnte sie lauten: "Über eine Sache xxx nachdenken ist so, als würden meine Hände die Gedanken in der Form der Tasse suchen", und umso präziser ich diesen Prozess als Metapher beschreiben kann, umso ausdrucksstärker kann ich ihn spielen, und der Zuschauer kann mitfühlen, da er diese "Sprache" selbst lebt und sie somit versteht.

Den Text betreffend  besteht die große Herausforderung beim Theaterspielen darin, den Zuschauer mit den 
zu sprechenden Worten und Sätzen im Gefühl zu erreichen, denn gesprochene Worte gehen in der Regel in den Kopf und wollen intellektuell verstanden werden. Wenn wir jedoch auf der Bühne ganz und gar mit unseren Sinnen leben und Texte nicht interpretieren, sondern sie Teil unseres Erlebnisprozesses werden lassen, indem wir sie sinnlich-künstlerisch leben, ihnen mit unserem Körper Form geben, dann ist das wie Musik, die den Zuschauer direkt im Gefühl trifft.

Unsere Worte kommunizieren nur Information, egal wie intensiv wir sie betonen oder versuchen sie mit Emotionen aufzuladen und ihnen dadurch Sinn zu geben. Erst zusammen mit unserem sinnlich erlebenden Körper werden sie zur Sprache, ergeben Sinn und werden vom Zuschauer umfassend verstanden.

Im Unterricht können wir dann in  Übungen und in Spielszenen aus der Theaterliteratur den dynamischen Prozess von Wahrnehmung, Bewegung und Sprache erforschen.  | Peter H. Jährling

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